Gustav Nottebohm – Beethoveniana – XVII – Das Opferlied Op. 121. (Seite 50)

Aufsätze und Mittheilungen von Gustav Nottebohm
Leipzig, Verlag von C. F. Peters 1872

Man kann die Bemerkung machen, wenn man manche Skizzenbücher Beethoven’s durchsicht, dass gewisse Gedichte wiederholt und zu ganz verschiedenen Zeiten zur Composition vorgenommen wurden. In früher Zeit begegnen wir wiederholten Ansätzen zu W. Ueltzen’s Liedchen von der Ruhe (»Im Arm der Liebe ruht sich’s wohl«), welche um 1793 in der durch den Druck bekannt gewordenen Composition (Opus 52 Nr. 3) ihren Abschluss gefunden zu halten scheinen. Einem wahrscheinlich im Anfang des Jahres 1795 bei Albrechtsberger geschriebenen Kanon sind auch Worte jenes Gedichts zu Grunde gelegt. Der früh gefasste Vorsatz, Schiller’s Hymne an die Freunde in Musik zu setzen, der erst im Finale der neunten Symphonie zur Ausführung kam, hat auch auf die Composition der Ouverture Op. 115 gewirkt*). Matthison’s Opferlied (“Die Flamme lodert”) ist in zwei Bearbeitungen bekannt: die eine für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte (ohne Opuszahl), die andere für eine Singstimme mit Chor und Orchester-Begleitung (Op. 121b). Ein anderes Lied Matthisson’s, »Wunsch« (»Noch einmal möcht’ ich, eh’ in die Schattenwelt” u. s. w)., ist zu verschiedenen Malen in Angriff genommen, aber nicht fertig geworden. Eben so ging es mit Goethes «Heidenröslein« (»Sah’ ein Knab’ ein Röslein stehn«). Ein Gedicht von Tiedge an die Hoffnung ist zweimal componirt worden (Op. 32 und Op. 94).
Auf keines dieser Gedichte ist Beethoven so oft zurückgekommen, wie auf das Opferlied. Es muss ihn dauernd interessirt haben, und es scheint für ihn ein Gebet zu allen Zeiten gewesen zu sein. Beethoven hat das Gedicht wenigstens zu vier verschiedenen Zeiten zur Composition vorgenommen. Der erste Entwurf, welcher ins Jahr 1794 zu setzen ist**), lautet (mit einer Variante):
Im Jahre 1801 oder 1802 wurde das Lied zum zweiten Male***), und wiederum einige Jahre später (wahrscheinlich um 1807, frühestens 1805) zum dritten Male vorgenommen. Die letzten Entwürfe fallen in die Jahre 1822 und 1823****). Aus diesen ist Op. 121b hervorgegangen*****).
Zwischen den ersten und letzten Entwürfen liegt ein Zeitraum von beinahe 30 Jahren. Merkwürdig ist, dass Beethoven jedesmal, bei jeder neuen Vornahme des Liedes, auf den allerersten Entwurf zurückkam, während alle anderen oben genannten Gedichte bei wiederholter Vornahme eine von Grund aus neue Weise erhielten. Dort finden wir verschiedene Bearbeitungen einer Composition; hier verschiedene Compositionen eines Gedichtes. Die erste Skizze zum Opferlied vom Jahre 1794 lässt sich auch als die erste Skizze zu der beinahe 30 Jahre später fertig gewordenen Composition Op. 121b betrachten. Aber die erste Skizze gehört dem jüngeren, das letztere Werk dem älteren Beethoven an. Man erkennt den älteren Beethoven an der sorgsameren grammatischen Betonung, an dem Eingehen auf den Sinn einzelner Wörter, an der Neigung zum Charakterisiren (z. B. bei dem Worte »wallen«) und an anderen Zügen, welche den letzten Vocal-Compositionen Beethoven’s überhaupt, eigen sind, nicht aber den früheren, zu welchen die erste Bearbeitung des Opferliedes gehört.
*) Vgl. S. 40 ff
**) Dem Entwürfe folgen Arbeiten zum ersten Satze des Trios in G-dur Op. 1 Nr. 2. Danach lässt sich die Zeit, welcher jener Entwurf angehört, ziemlich sicher bestimmen. Das Trio wurde frühestens gegen Ende 1794 fertig.
***) Näheres darüber findet man in des Verfassers «Ein Skizzenbuch von Beethoven«. Einige darin angegebene Data sind nach den obigen zu berichtigen. Als der Verfasser die Schrift herausgab, war ihm die Skizze vom Jahre 1794 nicht bekannt.
****) Beethoven pflegte um und nach dieser Zeit die letzten Worte des Gedichtes: »Das Schöne zu dem Guten«! (eigentlich ein vorchristlicher Spruch, den Matthisson aufnahm) auch auf Gedenkblättern anzubringen.
*****) Skizzen der vierten Vornahme befinden sich an fünf verschiedenen Orten; ein Beweis, dass sie nicht gleichzeitig geschrieben wurden. Solche Erscheinungen erschweren eine genaue chronologische Bestimmung. Jedenfalls ist Schindler’s Angabe, Op. 121b sei 1822 componirt, nicht aufrecht zu halten. Das Werk wurde, wie es gedruckt vorliegt, nicht vor 1823 geschrieben; es ist auch möglich, dass es erst zu Anfang des Jahres 1824 fertig wurde.
In den gedruckten Ausgaben des Opferliedes Op. 121b fehlen an einer Stelle einige Noten. Der siebente Takt der zweiten Strophe Takt 44 von Anfang muss in der Solostimme so heissen:
So steht die Stelle im Autograph.  Zu verweisen ist auch auf einen in der Cäcilia v. J. 1828 (Bd. 8. S. 66f.) veröffentlichen Brief Beethoven’s.

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