Gustav Nottebohm – Beethoveniana – II – Zur Geschichte einer alten Ausgabe (Op. 29). (Seite 3)

Aufsätze und Mittheilungen von Gustav Nottebohm
Leipzig, Verlag von C. F. Peters 1872

Ferdinand Ries erzählt (Biogr. Not. S. 120): »Beethoven’s Violin-Quintett (Op. 29) in C-dur war an einen Verleger nach Leipzig verkauft worden, wurde aber in Wien gestohlen und erschien plötzlich bei A. und Comp. Da es in einer Nacht abgeschrieben worden war, so fanden sich unzählige Fehler darin; es fehlten sogar ganze Takte. Beethoven benahm sich hierbei auf eine feine Art, von der man nach einem zweiten Beispiel sich vergebens umsieht. Er begehrte nämlich, A. sollte die fünfzig bereits gedruckten Exemplare mir nach Haus zum Verbessern schicken, gab mir aber zugleich den Auftrag, so grob mit Tinte auf das schlechte Papier zu corrigiren und mehrere Linien so zu durchstreichen, dass es unmöglich sei, ein Exemplar zu gebrauchen oder zu verkaufen. Dieses Durchstreichen betraf vorzüglich das Scherzo. Seinen Auftrag befolgte ich treu, und A. musste, um einem Processe vorzubeugen, die Platten einschmelzen«.

Diese Mittheilung ist zum Theil nicht richtig. Es ist richtig, dass das an Breitkopf und Härtel in Leipzig verkaufte Quintett Op. 29 ziemlich gleichzeitig bei Artaria und Comp. in Wien gedruckt wurde. Dass Beethoven an dieser Ausgabe nicht betheiligt war, geht hervor aus zwei Erklärungen, die er in der Wiener Zeitung vom 22. Januar 1803 und vom 31. März 1804 veröffentlichte und von denen die erste lautet:

An die Musikliebhaber.

Indem ich das Publikum benachrichtige, dass das von mir längst angezeigte Originalqüintett in C-dur bey Breitkopf und Härtel in Leipzig erschienen ist, erkläre ich zugleich, dass ich an der von dem Herrn Artaria und Mollo in Wien zu gleicher Zeit veranstalteten Auflage dieses Quintetts gar keinen Antheil habe. Ich bin zu dieser Erklärung vorzüglich auch darum gezwungen, weil diese Auflage höchst fehlerhaft, unrichtig, und flir den Spieler ganz unbrauchbar ist, wogegen die Herren Breitkopf und Härtel, die rechtmässigen Eigenthümer dieses Quintetts, alles angewendet haben, das Werk so schön als möglich zu liefern.

Ludwig van Beethoven.

Die andere Erklärung lautet:

Nachricht an das Publikum.

Nachdem ich Endesunterzeichneter den 22 Jänner 1803 in die Wienerzeitung eine Nachricht einrücken liess, in welcher ich öffentlich erklärte, dass die bey Hr. Mollo veranstaltete Auflage meines Original-Quintetts in C-dur nicht unter meiner Aufsicht erschienen, höchst fehlerhaft, und für den Spieler unbrauchbar sey, so widerrufe ich hiermit öffentlich diese Nachricht dahin, dass Herr Mollo u. Comp, an dieser Auflage gar keinen Antheil haben, welches dem verehrungswürdigen Publico zur Ehrenerklärung des Hrn. Mollo u. Comp, anzuzeigen ich mich verbunden finde.

Ludwig van Bethofen.

Es ist aber nun nicht wahr, dass, wie Ries sagt, die Platten umgeschmolzen wurden. Im Gegentheil: gedruckte Exemplare kamen in den Handel, und die Platten gingen später von Artaria an Mollo über, dem Beethoven die Ehrenerklärung gethan hatte, und Mollo verkaufte (nach Whistling’s Verzeichnissen) seine Ausgabe noch im Jahre 1828*). Es liegen vier Exemplare aus verschiedener Zeit vor. Der Titel des ältesten von diesen Exemplaren lautet:

Gran Quintetto pour deux Violons, deux Altes, et Violoncelle composé et dedié à Monsieur le Comte Mce de Fries par Louis van Beethoven. Nr. 3 à Vienne chez Artaria Comp, à Münich chez F. Halm, a Francfort chez Gayl et Hädler.

Eine Verlagsnummer fehlt. Der Stich ist schlecht. Auch ist, nach Beethoven’s Worten, die Ausgabe »für den Spieler ganz unbrauchbar«, weil bei einigen Stellen auf das Umwenden der Blätter gar keine Rücksicht genommen ist. Dass ganze Takte fehlen, wie Ries behauptet, kann nicht bestätigt werden. — Das zweite Exemplar unterscheidet sich von dem vorigen dadurch, dass mit Rücksicht auf das Umwenden der Blätter einige Seiten in allen Stimmen neu gestochen sind, und dass auf dem Titel nach dem Worte »Beethoven« noch steht: »Revû et corigé par lui même«. — Das dritte Exemplar ist mit dem vorigen übereinstimmend, nur hat es eine Verlagsnummer (1591) bekommen. — Das vierte Exemplar endlich ist mit den beiden vorigen übereinstimmend, nur hat es eine andere Firma (statt Artaria Comp.: T. Mollo) und eine andere Verlagsnummer (1302) bekommen.

Das Vorhandensein dieser Drucke und dann der Beisatz auf dem Titel: »Revû et corigé par lui même«. macht es wohl unzweifelhaft, dass Beethoven später sich der Ausgabe annahm und sie corrigirte; denn es ist nicht denkbar, dass Artaria den Beisatz ohne Grund und ohne Beethoven’s Einwilligung hätte machen können**).

Die ganze Geschichte wirft ein Licht auf das damalige Verhältniss zwischen Componisten und Verlegern. Bei Beethoven’s Lebzeit scheinen sich diese Zustände nicht viel gebessert zu haben. Thatsache ist, dass wenigstens bis zum Jahre 1823 die meisten und namentlich die nicht sehr umfangreichen Werke (Sonaten u. s. w.), deren rechtmässigen Betrieb Beethoven einem Verleger im »Auslande« übergeben hatte, auch in Wien gedruckt wurden. Es lässt sich hier ein Nachdruck namhaft machen, an dessen Herstellung Beethoven selbst nicht unbetheiligt war. Der Verleger Schlesinger in Berlin hatte das Eigenthumsrecht der Sonate in C-moll Op. 111 erworben und den Druck in Paris besorgen lassen. Wie den Sonaten Op. 109 und Op. 110, so stand es ihr bevor, bei ihrem Erscheinen auch in Wien gedruckt zu werden. Schlesinger’s Ausgabe war spätestens im Mai 1823 in Wien angekommen (eine Anzeige steht in der Wiener Zeitung vom 27. Mai 1823) und Beethoven übernahm es nun selbst, den von der Handlung Cappi und Diabelli in Wien unternommenen Druck nach seinem Manuscript und nach der in Paris gedruckten Originalausgabe zu corrigiren***). Dies geht aus folgenden Briefstellen hervor. Beethoven schreibt an Diabelli: »Ich habe gestern statt der französischen Ausgabe der Sonate in C-moll mein Manuscript in Zerstreuung geschickt und bitte mir dasselbe zurückzustellen«.

In einem anderen Briefe heisst es : »Ich rathe Ihnen die Sonate in C-moll noch einmal selbst anzusehen, denn der Stecher ist nicht musikalisch und die Geschwindigkeit entschuldigt Euch. Zu dem Ende erhalten Sie noch einmal mein Manuscript« etc.

In einem dritten Briefe schreibt Beethoven: »Sobald die Correctur von der Sonate vollendet, senden Sie mir selbe sammt französischen Exemplar wieder zu« etc.

An Schindler wird geschrieben: »Erkundigen Sie sich bei dem Erzflegel Diabelli wann das französische Exemplar der Sonate in C-moll abgedruckt. Zugleich habe ich mir 4 Exemplare für mich ausbedungen davon, wovon eins auf schönem Papier für den Cardinal«. Als Beethoven dem Cardinal am 1. Juni 1823 ein Exemplar schickt, bemerkt er: »Die Sonate in C-moll ward in Paris gestochen sehr fehlerhaft, und da sie hier nachgestochen wurde, so sorgte ich so viel wie möglich für Correctheit« etc.

*) Eine dieser Wiener Ausgaben wird auch angeführt im Intelligenz Blatt zur Leipziger Allgemeinen Musikalischen Zeitung vom Januar 1805.

**) Beethoven schreibt am 1. Juni 1805 an Artaria und Comp.: »Ich melde Ihnen hiermit, dass die Sache wegen des neuen Quintetts schon zwischen mir und Gr. Fries ausgemacht ist, der Herr Graf hat mir heute die Versicherung gegeben, dass er Ihnen hiermit ein Geschenk machen will« u. s. w. Unter dem »neuen Quintett« kann schwerlich das nachgedruckte Quintett Op. 29 gemeint sein. Vgl. Thayer’s »L. v. Beethoven’s Leben«, Bd. 2, S. 276 f.

***) Im Jahre 1847 liess man die Ausgabe eingehen.

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