Gustav Nottebohm – Zweite Beethoveniana – Introduzione

Nachgelassene Aufsätze von Gustav Nottebohm Leipzig, Verlag von J. Rieter Biedermann 1887

VORBEMERKUNG.
Die folgenden Aufsätze haben sich im Nachlasse Nottebohm’s vorgefunden. Ein Theil davon wurde seinem wesentlichsten Inhalte nach bereits in Zeitschriften mitgetheilt (I—XLII und theilweise auch LVI im »Musikalischen Wochenblatt« der Jahre 1875 —1879, XLIII in der »Allgemeinen musikalischen Zeitung« vom Jahre 1873), erscheint aber hier vielfach umgearbeitet und erweitert. Die Einleitung musste nach vorhandenen Andeutungen zusammengestellt werden. Der letzte Aufsatz ist Fragment; er wird aber hier mitgetheilt, weil er doch zu einem Ergebniss führt. Bezüglich XLIII ist die Notiz Nottebohn’s erwähnenswerth: »Wenn sich nachweisen lässt, dass der türkische Marsch und der Derwisch-Chor in der Musik zur „Weihe des Hauses“ vorkamen, so muss der Aufsatz geändert werden. Es giebt dann keinen Zweifel mehr: Alle Nummern der „Ruinen von Athen“ kamen in der „Weihe des Hauses“ vor«.
E. Mandyczewski
Einleitung.

Was diese Aufsätze sollen? Um es kurz zu sagen, es sollen (mit Ausnahme einiger, die ein anderes Ziel verfolgen) biographische Beiträge sein, das Wort „biographisch“ nur auf den schaffenden Künstler bezogen, und „Beiträge“, beinahe ausschliesslich aus Arbeitsbüchern und Skizzenblättem Beethovens geschöpft.
Dass diese Arbeitsbücher und Blätter zu einer Kenntniss der Kunst Beethoven’s und zur Geschichte seiner Werke in bedeutendem Grade beitragen können, darf als bekannt angenommen werden. Ihre Beitragsfähigkeit lässt sich, wenn man von Nebendingen absieht, als eine dreifache bezeichnen. Erstlich kann mit ihrer Hilfe die genaue Compositionszeit sehr vieler Werke, die Zeit, in der sie begonnen und beendigt wurden, bestimmt werden; dann machen sie uns in nicht ausgeführten Skizzen, in liegengebliebenen Arbeiten und in allerhand Bemerkungen mit künstlerischen Absichten Beethovens bekannt, von denen wir auf einem anderen Wege nichts erfahren; endlich gewähren sie bis auf einen gewissen Punkt einen Blick in Beethoven’s Werkstätte.
Beethoven ist der einzige von unseren grossen Componisten, bei dem man den Vortheil hat, zur Erlangung solcher Ergebnisse Skizzenbücher benutzen zu können. Von allen unseren anderen grossen Componisten ist es nicht bekannt, dass sie so skizzirt und so Skizzenbücher geführt haben, wie es Beethoven that. Man kann mit Sicherheit behaupten, dass sie gar nicht oder im Vergleich mit Beethoven sehr wenig skizzirt haben. Dass Beethoven Skizzenbücher brauchte, hängt mit der Art seines
Schaffens zusammen. Beethoven hat langsam und mühsam gearbeitet. Die Gedanken kamen eruptionsweise zum Vorschein und mussten vielfach gewendet werden, bevor sie die endgiltige Form erhielten. Berücksichtigt man nun noch, dass Beethoven immer oder fast immer an einigen Werken zugleich arbeitete, so wird man es begreiflich finden, dass das Gedächtniss dem im Inneren unablässig vor sich gehenden Bildungs- und Umhildungsprocess nichtimmer folgen konnte, und dass die Nöthigung eintrat, das Gefundene schriftlich festzuhalten. Das Skizziren, das Führen von Skizzenbüchern wurde zur Gewohnheit, zum Bedürfniss, das kleinste Stück musste entworfen sein, bevor es in’s Reine geschrieben wurde. Beethoven hat seine Skizzenbücher überwacht, d. h. er hat früher geschriebene später durchgesehen. Stellen, die ihn anzogen, wurden dann abgesch rieben, und Compositionsarbeiten, die früher liegen gelassen wurden, wieder aufgenommen und zum Theil beendigt. Auf diese Weine sind das „Opferlied“ op. 121b, die Ouvertüre Op. 115 und ein Theil der Bagatellen op. 119 fertig geworden. Bei der Composition grösserer Werke wurde die meiste Zeit auf’s Skizziren verwendet. Erklärlich ist es, wenn Beethoven verhältnissmässig wenig Werke geschrieben hat. Er war wenigstens dreissig Jahre lang unablässig thätig, hat aber in dieser Zeit nicht so viel Werke hervorgebracht, als irgend einer von unseren anderen grossen Meistern in einer kürzeren Zeit Hätte Beethoven so leicht und schnell gearbeitet, als beispielsweise Haydn und Mozart, so müsste die Anzahl seiner Compositionen wenigstens um die Hälfte grösser sein, als sic es wirklich ist.

Cartolina del 21 maggio 1903 raffigurante il cortile interno della BeethoveHaus di Bonn con firma autografa di Eusebius Mandyczewski. Collezione Luigi Domenico Bellofatto. 

Ohne das Geheimniss des Genius zu vernithen, geben die Skizzen Beethoven’s eine Vorstellung von wittern Produciren. Sie veranschaulichen das bruchstückweise Entstehen und langsame Heranwachsen einer Composition. Für uns nun hat diese Art des Schaffens etwas Räthselhaftes. Das Räthselsclhaftes liegt in erster und letzter Instanz in dem Kampf Beethoven’s mit seinem Dämon, in dem Ringen mit seinem Genius. In dienen Skizzenbüchern hat der Dämon gehaust. Der Dämon aber ist entwichen. Der Geist, der ein Werk dietirte, erscheint nicht in der skizzen. Die skizzen offbaren nicht das Gesetz, von dem sich Beethoven beim Schaffen leiten liess. Von der Idee, die nur im Kunstwerk selbst zur Erscheinung kommt, können sie keine Vorstellung geben. Nicht den ganzen Process des Schaffens, sondern nur einzelne, unzusammenhängende Vorgänge daraus können sie vor Augen legen. Was man organische Entwicklung eines Kunstwerkes nennt, liegt den Skizzen fern. Damit ist gesagt, dass sie zum Verständniss und rechten Genuss eines Kunstwerkes nicht beitragen. Gewiss, zum Verständniss eines Kunstwerkes sind sie überflüssig, aber nicht zum Verständniss des Künstlers, wenn dieses ein vollständiges, umfassendes sein soll; denn sie sagen etwas aus, was das fertige Kunstwerk, in dem jede an die Vergangenheit erinnernde Spur abgestreift ist, verschweigt. Und dieses Etwas, dieser Ueberschuss, den die Skizzen bieten, fällt der Biographie des Künstlers Beethoven, der Geschichte seines künstlerischen Entwicklungsganges anheim.

Der Verfasser war bei seiner Arbeit von der Beschaffenheit und Ergiebigkeit seiner Vorlagen abhängig. Das vorhandene Material war je nach seiner Ergibigkeit verschieden anzufassen. An einer Stelle gab es ein chronologisches Ergebniss zu verzeichnen, an einer anderen war ein kurzer Ueberblick über Beethoven’s Thätigkeit innerhalb eines gewissen Zeitraumes, und an einer dritten ein Einblick in die Gedankenwerkstatt Beethoven’s vergönnt Bei den zu beschreibenden Skizzenbüchern war nirgends eine vollständige Wiedergabe der darin vorkommenden Skizzen geboten; überall genügte eine Auswahl, eine Wiedergabe der hervorragendsten Themen und Anfänge eines Satzes. Die Natur des Gegenstandes verlangte überall eine möglichst kurze und sachliche Darstellung. Bei der Darlegung der Skizzen waren weitläufige Erklärungen, ästhetisirende Bemerkungen u. dgl. möglichst fern zu halten. In der Meinung, dass vieles Erklären zur Klarheit kaum beitragen würde, lässt der Verfasser den Leser bei den Skizzen oft allein, ohne eine Bemerkung über deren Bedeutung, Beziehung u. dgl. zu machen. Die Erscheinungen, welche die Skizzenbücher Beethoven’s bieten, wiederholen sieh, und es würde eine überflüssige Mühe sein, bei jeder nach dieser oder nach jener Richtung einschlagenden Skizze immer die eine oder die andere Bemerkung oder Erklärung zu wiederholen. Ueberdies sprechen die Skizzen so deutlich, dass Jeder, der Augen für solche Dinge hat, sehen muss, was da vorgeht.

In allen Skizzenbüchern Beethoven’s kommen unbenutzte Entwürfe vor. Es wurde dies nicht jedesmal bemerkt, sondern oft nur darauf aufmerksam gemacht, wenn etwas Besonderes mit den liegengebliebenen Skizzen verbunden war, wenn ihrer sehr viele waren, oder wenn sie beachtenswerthe Ueberschriften hatten.
Kürzungen in der Schreibweise wurden getreu beibehalten, auch solche wie Seite 232 Takt 26, wo die ersten zwei Viertelnoten zusammengehören und zugleich angeschlagen werden sollen. Beethoven hat in seinen Skizzen manche Noten eine Stufe zu hoch oder zu tief geschrieben; Stellen, bei denen kein Zweifel oblag, sind geändert worden. Es war aber nicht rathsam, dies überall zu thun. Der Leser muss die Sache nicht überall streng nehmen, er muss sich an die Flüchtigkeit und Schnelligkeit erinnern, mit der die Skizzen geschrieben wurden. Stellen, die in unserer Wiedergabe zweifelhaft sind oder unrichtig sein können, sind mit (?) bezeichnet. Eintritte der Varianten wurden theils mit +, theils mit „oder“ angedeutet. Das „etc.“ rührt jedesmal von Beethoven her; mit „u. s. w.“ bezeichnen wir unsere Kürzung.
Gustav Nottebohm.

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