Bei der am Nachmittag des 22. März 1932 vorgenommenen Eröffnung des auf dem alten Bonner Friedhof gelegenen Grabes, das nach der oben gegebenen Vorgeschichte die sterblichen Überreste von Beethovens Mutter bergen sollte, fließ der Totengräber in ca. 1,50 Meter Tiefe auf ein Skelett in natürlicher Lage, das größtenteils geborgen wurde und das nach der späteren anthropologischen Untersuchung kurz folgendermaßen zu charakterisieren war:
Schädel: leicht, dünnwandig, mit schwachen Muskelmarken. 185 mm lang, 153 mm breit, 120 mm hoch. Fast alle Nähte noch offen. Unterkiefer ausgesprochen senil, Zahnwurzelhöhlen bis auf eine geschlossen. chronische, entzündliche Knochenauflagerungen mit starker Abschweifung am rechten Gelenkkopf. Oberkiefer abgebrochen und fehlend. Röhrenknochen der Extremitäten leicht, grazil und ziemlich kurz. Am Hals des linken Oberschenkelknochens eine chronisch-entzündliche Knochenauflagerung. Zwei Halswirbel unter Verlust der linken Gelenkhöhle infolge einer chronischen Entzündung zusammengewachsen. Bekken sicher männlich.
Beim erst gefundenen Skelett handelte es sich demnach um das eines grazil gebauten, älteren Mannes. An der Richtigkeit der geschlechts-Diagnose kann kein Zweifel fein. ebenso spricht alles — besonders auch die krankhaften Veränderungen — für ein höheres Alter, ausgenommen der Zustand der Schädelnähte, doch kommen solche Fälle nicht allzu feiten vor.
Nach der Vorgeschichte kann es sich also bei dem zuerst gehobenen Skelett nur um Jas des im 61. Lebensjahr verstorbenen italienischen Geistlichen Matari handeln.
Beim Weitergraben fand der Totengräber sehr bald in dem oberen rechten Grabeswinkel einen Schädel, der dann von mir selbst freigelegt wurde. Der Schädel lag auf dem Gesicht, der Unterkiefer fand sich fußwärts von ihm und nicht im Zusammenhang mit ihm. Das Schädelinnere war ganz mit Erde gefüllt, die Oberfläche so verunreinigt, daß ich zunächst keine Vermutung über das Geschlecht äußern konnte und wollte. Die Verlagerung nach rechts oben und auf das Gesicht erklärten wir uns als nachträglich durch den Druck des Erdreiches, vielleicht bei Gelegenheit der Beisetzung Mataris entstanden. Jedenfalls glaubten wir zunächst, auf das gesuchte Skelett gestoßen zu fein.
Ich grub nun helft in der Fußhälfte des Grabes weiter und stieß sehr bald in ca. 1,80 m Tiefe auf zwei nebeneinander gelegene Fuß-Skelette, die ca.1,10 m von dem zuletzt ausgegrabenen Schädel entfernt lagen. Von hier aus grub ich allmählich kopfwärts weiter und konnte so ein Skelett in ganz ungestörter Lage freilegen. Die einzelnen Knochen wurden in der Reihenfolge ihrer Freilegung herausgenommen. Mit der Halswirbelfäule wurde die obere Grabeswand erreicht, die zur Herausnahme des Schädels erst weiter abgebrochen werden mußte.
Der im rechten oberen Grabeswinkel gefundene — zuerst für den gefuchten gehaltene — Schädel gehörte also nicht der zweitgefundenen Leiche an, sondern war — ungewiß ob bei der ersten oder der zweiten Grabbelegung — in das Grab gelegt worden.1 Es fanden sich auch sonst noch Knochenfragmente im Erdreich, sowohl oberhalb des Matari-Skelettes, wie in der Nachbarschaft des genannten Schädels.
Wie die Beschreibung zeigen wird, ist der zum zweiten Skelett gehörige Schädel sehr befriedigt, es muß aber ausdrücklich betont werden, daß diese Beschädigungen ohne Zweifel nicht durch die Ausgrabung entstanden find, sondern schon vorher vorhanden waren.
Es gelang mir nicht, weitere Schädelknochen Fragmente und die Oberkieferzähne in dem Erdreich zu finden, vielleicht wäre das mit einem Sieb wenigstens z. TU. möglich gewesen, doch stand mir ein solches nicht zur Verfügung.
Nach der Entnahme des zweiten Skelettes stießen wir auf gewachsenen Boden, sodaß das Grab damit sicher geleert war.
Beschreibung des zweiten Skelettes:
Schädel: das ganze Gesicht-Skelett fehlt und Teile der seitlichen Schädelwand find defekt. Vorhanden find nur folgende Knochen: Schuppe des Stirnbeines, beide Scheitelbeine, Hinterhauptsbein und beide Schläfenbeine. In beiden Scheitelbeinen finden sich nach dem Tod entstandene lochförmige Defekte. Das linke Scheitelbein ist im Bereich der unteren Hälfte des vorderen Randes, dicht hinter der Kranznaht, ziemlich parallel mit dieser durchgebrochen. Senkrecht zu diesem Riß mündet ein weiterer Riß in den Defekt ein, wodurch der vom Stirnbein abgebrochene Teil des Scheitelbeines in ein oberes und ein unteres Stück getrennt wird. Das obere Stüch springt aus der Fläche des Schädeldaches nach außen, das untere nach innen vor. Dadurch entsehen einige Schwierigkeiten für die Breitenmesslung, worauf ich noch zurückkommen werde. Die Schuppe des Schläfenbeines fehlt links fast völlig, rechts vorn.
Die Stirne ist gewölbt, leicht blasenförmig, die Stirnhöcker find — besonders deutlich rechts — zu erkennen. Die Stirnbeinschuppe ist vielleicht etwas nach hinten und unten gedrückt, womit die Schädellänge und -höhe etwas zu klein ausgefallen fein würden. Doch könnte das nur wenig ausmachen und würde am Gesamtcharakter der Schädelform nichts ändern.
Im Bereich der Scheitelbeine fällt der Schädel dachförmig nach hinten und unten ab, im Bereich der Hinterhauptschuppe ist er leicht gewölbt.
Die Warzenfortsätze find kegelförmig mit ziemlich großem basis-Durchmesser, aber kleiner Höhe, der linke ist an der Innenfeite kraterförmig gehöhlt. Auch an den innen angrenzenden Teilen der Schläfenbein-Pyramide und des Hinterhauptbeines kommen links solche, wohl nach dem Tode entstandene Defekte vor. Hier fehlt der Griffelfortsatz, während er rechts noch vorhanden ist.
Das Muskelrelief der Nackengegend ist schwach entwickelt. Die Knochenwände find dick2 und lassen nur an zwei Stellen Licht durchfallen. Die Farbe ist braun.
Nähte: Innen: Pfeil- und Kranznaht verstrichen, Lambdanaht: der Lambda-Teil verknöchert, aber noch zu erkennen, sonst verstrichen. Naht zwischen Hinterhauptsbein und Warzenfortsatz links offen, rechts zum Teil verstrichen. Naht zwischen Scheitelbein und Warzenfortsatz beiderseits offen, Schuppennaht nur rechts vorhanden, offen. Außen: Pfeilnaht in der hinteren Hälfte wahrscheinlich, aber wegen
Absplitterungen an der äußeren Knochentafel nicht sicher verstrichen, in der vorderen Hälfte verstrichen, aber noch deutlich erkennbar. Kranznaht im verstreichen begriffen (rechts stärker als links), aber noch deutlich erkennbar. Lambdanaht: bis auf Andeutung von Verteidigungen im Bereich des Lambda und des mittleren Teiles (links stärker als rechts) noch ganz offen. Naht zwischen Hinterhauptsbein und Warzenfortsatz, sowie zwischen Scheitelbein und Warzenfortsatz beiderseits und rechte Schuppennaht ganz offen.
Maße: Länge 172, Breite 149, Höhe3 120, horizontaler Schädelumfang 507 mm.
Bei der Breitenmessung wurde das untere, in die Schädelhöhle hineinragende Stück des Scheitelbeines in die Höhe des Stirnbeines gebracht. Auf diesem Stück wurde die größte Breite gefunden. Das obere nach außen ragende Stück konnte dagegen nicht nach innen gedrückt werden, da es zu spröde war und abgebrochen wäre. Vielleicht liegt auch hier ein kleiner Meßfehler vor, dann aber wohl in dem Sinne, daß der Schädel noch um ein geringes breiter wäre, als er gemessen werden konnte. Wie bei der Länge wäre dieser Fehler so unbedeutend, daß er den Befund nicht wesentlich ändern könnte.
Indices: Längen Breitenindex 86,63 (hyperbrachykran), Breiten Höhenindex 80,54 (tapeino-kran), Längen Höhenindex 69,77 (chamäkran-orthokran).
Der Schädel ist also nach den Indices als stark kurz- und breitförmig, weniger als flachförmig zu charakterisieren.
Unterkiefer: Kinnhöhe 27 mm. Dicke hinter dem Kinnloch beiderseits 14 mm, vor dem Kinnloch beiderseits 12 mm. Unterkieferwinkel ca. 112°. Beide Gelenkfortsätze und linker Winkel abgebrochen, linker Krähenschnabelfortsatz oberflächlich beschädigt, keine weiteren Maße möglich. Der Knochen ist kräftig und schwer, die Muskelmarken find deutlich ausgeprägt.
Lange Röhrenknochen der Extremitäten4: Die in der Fußnote gebrachten Maß- und Index-Angaben geben mittlere, nicht irgendwie auffallende Werte wieder, die bei der oberen Extremität mehr Neigung zur Schlankheit, bei der unteren mehr zur Massigkeit zeigen. Aus der Länge der langen Röhrenknochen kann man nach den Methoden von Manouvrier oder Pearson (vgl. Martin, Lehrbuch der Anthropologie, 2. Aufl. S. 1068 ff.) die Körpergröße während des Lebens ungefähr bestimmen. Die erstere Methode ergab 159,4 cm> die letztere 158,8 cm, was einer mittelgroßen bis großen Körpergröße entspricht.
Von den Knochen des Hand- und Fuß-Skeletes fehlten einige, andere waren defekt, besonders die kurzen Röhrenknochen, gemessen wurden sie nicht, krankhafte Veränderungen ließen sich nicht feststellen. Die Schulterblätter waren nur in Bruchstücken erhalten. Von den Schlüsselbeinen fehlte beiderseits der äußere Teil.
Vom Brustbein fehlte der Schwertfortsatz. Länge des Handgriffs 46 mm, des Körpers 105 mm, das Verhältnis zwischen beiden Längen ist demnach wie I :2,3, größte Breite des Körpers 34 mm.
Die Rippen waren meist nur in Bruchstücken erhalten.
Die Halswirbel waren so zerbrochen, daß nur der Atlas einigermaßen unverletzt geborgen werden konnte. Die 12 Brust- und 5 Lenden-Wirbel waren mit Ausnahme des zerbrochenen
zweiten Brust- und ersten Lendenwirbels ziemlich unbeschädigt. Ihre Körper zeigen am oberen und unteren Rand knöcherne Auflagerungen als Folge eines chronisch entzündlichen Prozesses, besonders ausgeprägt vom sechsten bis zwölften Brustwirbel auf der rechten Seite und an den unteren zwei Lendenwirbeln und dem ersten Kreuzbeinwirbel (f. Abb. des Beckens).
Becken: es fehlen die beiden unteren Schambeinäste fast ganz, rechts das ganze Sitzbein, links das ganze Sitzbein mit Ausnahme des Ursprungs des oberen Astes am Körper und der hintere Teil der linken Darmbeinschaufel. Vom Kreuzbein find nur die ersten zwei Wirbel ganz, vom dritten ist nur die obere Hälfte vorhanden.
Trotzdem ist die Gefchlechtsdiagnose weiblich sicher möglich durch die flachgestellten, niederen Darmbeinschaufeln und den rundlichen Beckeneingang. Die Becken des ersten und des zweiten Skeletts erlauben nebeneinander gehalten aufs schönste die Demonstration des geschlechtlichen Formunterschiedes. Für die Diagnose weiblich sprechen auch die Maße, für deren Abnahme die drei Knochen mit Wadis zusammengeschmolzen wurden:
geradlinige, größte Entfernung der beiden Darmbeinkämme: 263 mm, geradlinige Entfernung der beiden vorderen oberen Darmbeinstacheln: 224 mm, geradlinige, größte Entfernung der beiden vorderen oberen Darmbeinstacheln: 240 mm,
Tiefendurchmesser des Beckeneingangs (conjugata vera): 108 mm,
Querdurchmesser des Beckeneingangs: 119 mm,
Schräger Durchmesser des Beckeneingangs von rechts hinten nach links vorn: 118 mm, schräger Durchmesser des Beckeneingangs von links hinten nach rechts vorn: 117 mm.
Die Maße kommen den in geburtshilflichen Lehrbüchern gegebenen weiblichen Durchschnittswerten zwar sehr nahe, erreichen sie aber nicht ganz, was nicht zu verwundern ist, wenn man bedenkt, daß die Knochen etwas geschrumpft fein können und daß die Wachseinlagen nicht die Dicke des beim Lebenden zwischen den Knochen gelagerten Knorpels erreichen.
Nun die Folgerungen der vorstehenden Angaben:
1. Es handelt sich um ein weibliches Skelett, abgesehen von dem einwandfrei weiblichen Becken spricht beim Schädel die Form der Stirngegend und die geringe Ausbildung der Muskelmarken im gleichen Sinne. Vom Extremitätenskelett kommt dafür besonders die kleine Gelenkfläche des Kopfes des Oberarmknochens in Betracht. Etwas aus dem Rahmen fallen die Dicke der Schädelknochen, die kräftige Ausbildung des Unterkiefers und das Verhältnis der Handgriff Körper Länge des Brustbeins, im allgemeinen ist der Körper des weiblichen Brustbeines kürzer. Doch bleiben auch diese Befunde durchaus im Bereich der weiblichen Variationsmöglichkeiten und können keinen Zweifel an der Richtigkeit der Geschlechtsdiagnose Aufkommen lassen.
2. Nach dem Zustand der Schädelnähte würde man das Alter auf ca. 40 Jahre, nach dem Abschleifungsgrade der Zähne noch höher anfetzen, doch ist die Widerstandskraft des Schmelzes wohl bei den einzelnen Menschen verschieden groß und vom gesamten Gesundheitszustand abhängig, der wie bekannt bei Beethovens Mutter nicht günstig war.
3. Der Knochenbau war weder von auffallender Grazilität noch von besonderer Robustizität, der Schädel neigte eher zur letzteren als zur elfteren. Die Körpergröße war über mittelgroß. Über die krankhaften Veränderungen wird im folgenden eigens berichtet.
Hält man diese anthropologischen Befunde mit den historischen Voraussetzungen, die überhaupt zu der Grabesöffnung den Anlaß gaben und mit dem zusammen, was wir über Beethovens Mutter wissen, so ist nicht daran zu zweifeln, daß wir es mit ihrem Skelett zu tun haben.
Beethovens Mutter starb in ihrem 41. Lebensjahre an der Schwindsucht. Bilder von ihr existieren nicht. Von Zeitgenossen (C. und G. Fischer) wird sie gelegentlich als ziemlich groß, schmächtig oder schlank geschildert. Ihre Körpergröße und die wahrscheinlichen Folgen ihres Krankheitsprozesses mögen diesen Eindruck wohl bedingt haben, trotzdem sie nach dem Bau ihres Skelettes nicht gerade als grazil zu bezeichnen ist. In der folgenden Beschreibung des
Unterkiefers und feiner Zähne wird Beethovens Mutter in Übereinstimmung mit Zeitgenossen (C. Fischer) ein „schmales, langes Gesicht“ zugeschrieben.
4. Zum Schluß mag es von Interesse fein, den Schädel der Mutter mit dem des Sohnes zu vergleichen und nach eventuellen Ähnlichkeiten zu fahnden.
Es fei gestattet, kurz auf die Gedichte und Befunde von Beethovens Schädel einzugehen.
Bei der ersten Exhumierung im Jahre 1863 anläßlich der Erneuerung des Grabsteines fand man den Schädel, der nach dem Tode durch die Sektion und die Herausnahme der Innenohren eröffnet und beschädigt worden war, in neun Stücke zerfallen. Er wurde durch Lehmfüllung zufammengesügt, in Gips abgeformt und anthropologisch gemessen. Diese Maße scheinen nicht veröffentlicht worden zu fein, alle späteren Angaben beziehen sich auf den Abguß, daß sie im anthropologischen Sinn nicht exakt fein können, ist nach der Vorgeschichte klar.
Der Abguß wurde in der Folge anthropologisch beschrieben durch Langer und Schaaffhausen. Beiden untersuchen fiel vor allem das Vorspringen des zahntragenden Teiles des Oberkiefers und das starke Fliehen der Stirne auf. Letztere konnte nach der Meinung der beiden Untersucher erst nach dem Tode eingedrückt worden fein. Man fand bei der Exhumierung über dem Skelett eine Lage Ziegelsteine, welche die Leiche wahrscheinlich vor phrenologischen Räubern — man erinnere fich des Schicksals von Haydns Schädel — schützen sollte.
Nach der Beschreibung von Langer haben die „starken, bereits weit hervorstechenden Schneide-zähne“ durch das Vorragen des Oberkieser-Zahnfortsatzes „eine schiefe Richtung bekommen“. Die Schneidezähne des Unterkiefers zeigen „eine geringere Vorneigung“, „Entsprechend dieser Gestaltung des Gesichtsfkelettes konnte die Oberlippe, wie die Totenmaske zeigt, nicht zu vollem Anschluß an die Unterlippe kommen und blicken die starken Schneidezähne durch die etwas geöffnete Mundspalte hervor.“
Schaafhausen nahm die (unsicheren) Maße des Gehirnschädels und fand eine Länge von 198, eine Breite von 153 und einen Umfang von 570 mm.
Der im Besitz von Schaafhausen gewedene Abguß ist jetzt in der Sammlung des anatomischen Institutes in Bonn und liegt mir vor. Der Unterkiefer ist nicht vorhanden, wird auch von Sch. nicht erwähnt. Von den Schneidezähnen ist nur noch ein Stumpf des ersten linken zu sehen. Das Vorspringen des Zwischenkieferanteiles des Oberkieferknochens ist sehr deutlich, der erwähnte Stumpf macht nach feiner Stellung das Vorspringen auch der Zähne wahrscheinlich. Der Gaumen ist sehr flach und zeigt keine Kompressionserscheinungen.
Die zweite Exhumierung erfolgte 1888 anläßlich der Überführung der Gebeine vom Währinger-friedhof auf den Wiener Zentralfriedhof. Zur Untersuchung standen damals nur 20 Minuten zur Verfügung. Die Untersucher (Meynert, Toldt und Weisbach) beschränkten sich deshalb auf die Schädelteile und hier wieder auf das Gesichtsfkelett.
Ich erwähne nur die hier wegen der Vergleichsmöglichkeiten interessierenden Befunde: „Die stirnbein-Schuppe besitzt oberhalb der Gegend der Stirnhöcker die erhebliche Dicke von 7,5 mm auf der linken,
und von 7,0 mm auf der rechten Seite“. „Der Zwischenkieferanteil des Oberkiefers ist—sehr
stark nach vorn geneigt. In demselben Maße tritt der starke mittlere Schneidezahn schief hervor.“ „Das starke Vortreten des unteren Nasenstachels, beziehungsweife das damit verbundene Hervortreten der Wurzellinie der Oberlippe dürften hinreichen, um zu erklären, daß die hochgradige Prognathie im Leben nicht so auffallend zur Erscheinung gekommen ist. Der letztere Umstand ist übrigens auch maßgebend für die Gestalt des unteren Teiles der äußeren Nase, welcher an der Totenmaske besonders platt erfcheint.“ „Der Unterkiefer weift im Verhältnis zum Obergesicht kleine Dimensionen auf; fein Alveolarteil und entsprechend dem auch die Schneidezähne find erheblich nach vorn geneigt.“ „Die Hinterhautschuppe — — — läßt auf keine sehr erhebliche Ausladung des Hinterkopfes schließen.“ Die Untersucher halten es für unmöglich, daß „die Flachheit der Stirne durch Verdrückung der Schädelknochen im Grabe oder durch Zerfall der oberflächlichen Schichten derselben infolge der Fäulnis“ entstanden fein könne und bringen dafür m. E. stichhaltige Beweise bei.
Vergleicht man diese Angaben mit den Befunden an dem mütterlichen Schädel, so findet man Ähnlichkeit für die Knochendicke, die Form des Hinterhauptes und — wie die Kork- haussche Abhandlung zeigen wird — die Zahn- und Kieferstellung.
Gleiche erbliche Grundlagen des letzteren, besonders auffallenden Befundes laßen sich nicht beweisen, sie find auch gerade für diese Form der Kieferdeformität nach den Ergebnissen der Erblichkeitsforschung nicht so von Bedeutung wie äußere Faktoren. Immerhin ist das gemeinsame Vorkommen bei Mutter und Sohn von Interesse.
2. pathologisch-anatomischer Teil.
• Von W. Ceelen, Bonn.
Die wesentlichste Veränderung an den zur Begutachtung übergebenen Teilen des rumpf-Skelettes war eine Versteifung der Wirbelfäule durch spangenartige, knöcherne Verbindung der Wirbelkörper im Bereich der Brust- und Lendenwirbelfäule. Eine derartige knöcherne Fixierung der Wirbelkörper gegeneinander pflegt sich auf dem Boden einer Erkrankung der zwischen den Wirbeln gelegenen knorpeligen Bandscheiben zu entwickeln, welche ihre Elastizität verlieren, an der Vorderfeite der Wirbel vorquellen und zu einer Reizung der Knochenhaut der angrenzenden Wirbel führen, deren Folge eine knöcherne Brückenbildung zwischen benachbarten Wirbeln ist. diese Erkrankung (Spondylitis deformans) ist meist mit einer Beeinträchtigung der Beweglichkeit und einer Krümmung der Wirbelfäule nach hinten verbunden. Sie tritt in der Regel erst in höherem Alter auf. In jüngeren Jahren soll die durch starke mechanische Beanspruchung, Überanstrengung, Erschütterung der Wirbelfäule entstehen.
Brusthöhle:
An dem Brustkorb war die erste Rippe verkürzt und der Rippenknorpel beiderseits verknöchert. Im Bereich der ehemaligen Knorpelknochengrenze hatten sich herdförmige Knochenverdickungen (Exostosen) entwickelt.
Schädel :
Der Gesichtsschädel fehlte vollständig. Das Hinterhauptsbein, die Reste der Scheitel- und Schläfenbeine zeigten eine nach dem Tode entstandene Verbiegung. Während die Gegend des linken Warzenfortsatzes und der linke knöcherne Gehörgang ziemlich gut erhalten war, erwies sich ein großer Abschnitt des Warzenfortsatzes am rechten Schläfenbein zerstört. Es fanden sich hier unregelmäßige Löcher und Defekte, die von zundrigen Knochenbälkchen ausgekleidet waren. Die Zellen des Warzenfortsatzes (Cellulae mastoideae) waren in der Mehrzahl erhalten und auch von dem Hohlraum des Warzenfortsatzes (Antrum mastoideum) ließ sich ein umfangreicher Bezirk noch erkennen, während große Teile des Elfenbeines, des mittleren und inneren Ohres eine starke Zerstörung aufwiesen. — Irgendwelche sicheren Anhaltspunkte dafür, daß die erwähnten Zerstörungen durch krankhafte Vorgänge während des Lebens zustande gekommen find, lassen sich nicht erbringen. Auch nach dem mikroskopischen Bild besteht die größere Wahrscheinlichkeit, daß es sich um Einwirkung von Verwitterungsprozessen nach dem Tode handelt.
3. Ohrenärztlicher Teil.
Von K. Grünberg, Bonn.
An dem mir zur Röntgenaufnahme der Felsenbeine übergebenen Schädel ist auf der rechten Seite eine undeutliche Zeichnung der Knochenbälkchen der pneumatischen Zellen in der Umgebung des Warzenfortsatzvorhofes zu erkennen, während auf der linken Seite die Pneumatisation an dieser Stelle, ebenso wie im übrigen Warzenfortsatz, sehr deutlich ist. Es ist jedoch unmöglich, diese Abweichung zwischen rechts und links als pathologisch aufzufassen und auf etwa während des Lebens überstandene Krankheiten zurückzuführen. Es handelt sich vielmehr mit größter Wahrscheinlichkeit um Verwitterungserscheinungen, die sich ja auch bei der Untersuchung durch Herrn Professor Ceelen haben nachweifen laßen und die rechts viel stärker ausgesprochen find als links. Die Spitze des Warzenfortsatzes fehlt auf der rechten Seite.
4. Zahnärztlicher Teil.
Von G. Korkhaus, Bonn.
Der Unterkiefer von Beethovens Mutter enthält sämtliche Zähne bis zu den Weisheitszähnen; es fehlen nur der linke mittlere und rechte seitliche Schneidezahn, doch zeigen die erhaltenen (leeren) Zahnfächer, daß die Zähne beim Tode vorhanden waren und wahrscheinlich bei der Ausgrabung verloren gingen. diese vollständige Erhaltung des Zahnbestandes