Ende März des Jahres 1932 gelang es, die bislang verschollen gebliebene letzte Ruhestätte der Mutter des großen Tondichters wieder aufzufinden. Prof. Dr. Knickenberg, leider kurz danach aus dem Leben berufen, bekannt als Spezialift der Geographie des bei Bonn gelegenen Siebengebirges, hat sich schon früher um das Andenken Beethovens besondere Verdienste erworben: er gehörte zu dem kleinen Kreis jener opferbereiten Männer, welche im Jahre 1889 das damals als Wirtshaus nicht gerade besten Rufes fungierende Geburtshaus (ia) des Meisters aus eigenen Mitteln erwarben, instandsetzen ließen und es zu einem Museum ausgefallenen, in dessen Gästebuch wohl kaum der Name eines der bedeutenden Musiker unserer Zeit fehlt, (ib) Knickenberg erhielt nun vor einiger Zeit von einem alten Bonner, jetzt aber in Düsseldorf wohnenden Bürger namens Baum die Mitteilung, er könne ihm jene Stätte zeigen, wo Beethovens Mutter 1787 beerdigt worden fei. Baum, der Urenkel der Patentante Beethovens, habe die Grabstelle des öfteren von feinem alten Klassenlehrer gezeigt bekommen. Und, wie das meistens geschieht: heute bestätigen eine ganze Reihe alter Bonner Bürger jene Angabe und erklären, das hätten sie auch sagen können, wenn man sie nur gefragt hätte! Die Grabstätte wurde nun auch nach der Lifte des alten Friedhofs als richtig erwiesen und bei ihrer Öffnung die sterblichen Reste der Frau unterhalb eines, 1826 darüber angelegten Grabes eines in Bonn während feines Reifeaufenthaltes verstorbenen italienischen Geistlichen Matari aufgefunden. Der erst feit kurzem von der deutschen medizinischen Akademie Schanghai an die Bonner Universität überfiedelte Anatom Prof. Dr. Ferdinand Wagenfeil unterzog die Gebeine einer eingehenden wissenschaftlichen Untersuchung. Ohne deren Ergebnis, das in einem eigenen Aussatz Raum findet, vorwegzunehmen, kann doch schon soviel daraus verraten werden, daß unsere recht dürftigen Kenntnisse über die Mutter Beethovens um Wesentliches bereichert werden.
„Sie war mir eine so gute, liebenswürdige Mutter, meine beste Freundin“, hat Beethoven von dieser Frau gesagt, und feine Worte hat man dem, nun neu gefetzten Grabstein beigefügt, der sich wenige Schritte von demjenigen der Gattin und des älteren Sohnes Friedrich Schillers befindet. (2) Mit Lotte von Lengefeld teilt Maria Magdalena van Beethoven aber auch das Schicksal, mehr nach innen als äußerlich eine Rolle im Leben eines Großen gespielt zu haben. So besitzen wir noch nicht einmal ein Bildnis von ihr. Beethoven erklärte zwar einmal, er könne kraft feiner Phantasie sich ein der Verstorbenen ähnliches Bild vor die Seele bringen. Aber ein von dem rheinischen Maler Beckenkamp nach 1890 in den Handel gebrachtes und allgemein als das Porträt der Frau Beethoven geltendes Bild, das heute noch im Beethovenhaus hängt, hat sich leider längst als unecht erwiesen. Die einzigen literarischen Zeugnisse, welche sie und ihr Aufsehen betreffen, stammen von dem Bäckermeister Fischer, dem Besitzer des Hauses in der Rheingasse, dessen Mansarde die Beethovens in den Jahren 1776 bis 1785 bewohnten (3). diese Gasse führt noch heute, nahe der vor der großen Rheinbrücke gelegenen „Beethovenhalle“, dem 1870 zur Feier des 100. Geburtstages des Meisters errichteten Konzert-saal, ziemlich steil hinab zum Rhein und zur Dampferanlegestelle. Schon zu Beethovens Lebzeiten war die Rheingasse darum eine der wichtigsten Straßen der Stadt: an ihrem Ausgange zum Strom liegt heute noch das Gasthaus „Zum alten Keller“, das, 1553 begründet, der Treffpunkt der Honoratioren, das Kneip lokal des Korps „Saxonia“ blieb, in welchem u. a. auch der berühmte Deutschamerikaner Karl Schurz, aus der Nähe Bonns gebürtig, Stammgast war und es noch vor feiner letzten Rückreife in die neue Welt pietätvoll aussuchte. Seine Bedeutung mag der Gasthof dadurch gewonnen haben, daß dicht neben ihm die Zollftelle lag und man berichtet, daß der „Alte Keller“ häufig als Untersuchungsgebäude für Schmuggler herhalten mußte (4). An den „Alten Zoll“, eine Bastion, deren Ausficht auf das Siebengebirge Zelter in einem Briefe an feinen Freund Goethe „das schönste Schaufpiel“ nannte, das er sich. Vorfällen könne, und der das Geburtshaus des Botanikers Lenne und das Denkmal des in Bonn lehrenden E. M. Arndt trägt, lehnte sich das, von Beethovens bewohnte Haus des Bäckers Fischer an (5) und bildete auf halber Höhe der Bastionsmauer eine Art Terrasse vor der Mansardenwohnung (6, 7, 8).
Durch Fischers, zwar ungewandte, aber dennoch in ihrer urwüchsigen Ausdrucksweife höchst plastische Erinnerungen find wir in die Lage gefetzt, uns von der Persönlichkeit Maria Magdalena van Beethovens und ihrer Umwelt eine Vorstellung zu machen, während uns über ihre letzten Lebensjahre, die sie in der Wenzelgaffe verbrachte, die Chronik im Stiche läßt. Frau Beethoven war nach den Schilderungen Fischers eine übermittelgroße, fehmächtige, sanfte, im Umgang mit Hoch und Niedrig geschickte Frau, über deren Zügen jedoch der Schleier frühen Kummers und schwerer Krankheit ausgebreitet lag. 1746 in Ehrenbreitst ein als Tochter des kurfürstlich-tierischen Küchenmeisters Keverich geboren, hatte sie als Neunzehnjährige ihren ersten Mann, den Kammerdiener Laym verloren und mußte, 1767 mit dem Bonner kurfürstlichen Kapellfänger Johann van Beethoven gegen den Willen dessen Vaters Louis vermählt, ihr erstes Kind Ludwig Maria und drei, dem „großen Ludwig“ nachgeborene frühzeitig begraben. Der Stille Kummer um den haltlosen, als Künstler ziemlich mäßigen Gatten, von dem die Akten berichten: „hat eine schwache Stimme und ist sehr arm“, war wohl mit der Grund, daß es von ihr hieß, man habe sie niemals lachen sehen und sie habe einmal die Ehe als eine kurze Freude und ein langes Leiden bezeichnet. Bei allen Freunden und Bekannten genoß sie höchste Verehrung, und Fischer schildert sehr anziehend, wie ihr Geburtstag von den Schauspielern und Sängern des Hofes durch ein nächtliches Hauskonzert („auf Strümpfen“, um keinen zu Stören) gefeiert wurde.
Fischers Erinnerungen führen uns in jene Zeit zurück, die man als Beethovens „Lausbubenjahre“ bezeichnen dürfte. So berichtet er, der Vater habe den Jungen, der in der Schule nicht viel gelernt, sehr bald ans Klavier gebracht und dort auf einem Bänkchen flehend Spielen lassen, Oft habe er den Knaben gescholten oder gar mit Ohrfeigen bedroht, wenn dieser auf der Geige fantasiert oder am Klavier sich Griffe zurechtgesucht, anstatt nach Noten zu spielen. Fischers Frau schalt den kleinen Ludwig wegen feiner Unordentlichkeit und „Un-propprität“, aber der meinte: „Was liegt daran? Wenn ich einmal ein Herr werde, wird mir das keiner mehr anfehen.“ Auch sonst war der Bursche nicht um eine rasche Antwort verlegen, so als er von der Hauswirtin im Hühnerstall auf der Terrasse ertappt wurde und meinte, die Eier würden wohl von den Füchsen gestohlen, er selber fei ja nur ein Notenfuchs. Oder, wenn er den Sohn der Frau Fischer beschwor, er möchte nichts von dem Hahn verraten, den man, als er fidi verflogen, der Magd zum Braten übergeben hatte. „Die Leute“, so erklärte er bündig, „sollen ihr Vieh besser verwahren, den durch Vieh können auch große Unglücker kommen.“ Eier und Hahn haben wohl die sonst so schmale Küche der Kinder aufbessern müssen. Aber neben dem Schalk und Lausbuben häuste der Phantast: Frau Fischer sah ihn einmal starr in den Hof blicken und bekam, als sie in ihn drang, endlich zur Antwort: „Ich war in einem so schönen und tiefen Gedanken beschäftigt, da konnte ich mich gar nicht stören lassen.“ Mit Vorliebe schaute der angehende Musikus vom Speicher oberhalb des von den drei Jungen bewohnten Mansardenstübchens über den alten Zoll hinweg durch ein Fernrohr auf das schöne Siebengebirge in der Ferne und auf den Rhein, den er bis in feine letzten Lebensjahre liebte. Auch davon berichtet Fischer, wie die Knaben häufig den Vater, wenn er in Gesellschaft zuviel getrunken, schmeichelnd mit den Worten „O Papächen, Papächen“ heim-bugsiert hätten, auch daß der Vater einmal erklärt habe: „Mein Ludwig wird noch ein großer Mann in der Welt werden.“ Als aber ein Mann namens Stommb, der über dem Musik-
Studium den Versand verloren hatte, öfters in Fischers Parterrestube kam, Noten in der Hand und mit einem Taktstock auf den Tisch schlug, dabei aber bedeutsam nach oben in Beethovens Wohnung wies, meinte der kleine Ludwig trocken: „Da können wir sehen, wie es den Musikern ergeht. Dieser ist schon durch die Musik irre geworden. Wie mag es uns noch ergehen?“ In jene Zeit des Aufenthalts in der Rheingasse fallen auch die ersten gedruckten Kompositionen des jugendlichen Musikers, so die drei bekannten „Kurfürstensonaten“, zwei Rondos für Klavier, ein, erst 1890 erfchienenes Klavierkonzert und drei Streichquartette, die ebenfalls erst nach dem Tode Beethovens an die Öffentlichkeit gekommen find. 1778, ein Jahr nach der großen Rheinüberschwemmung, die gewiß auch den so nahe am Strom wohnenden Kindern ein bedeutsames Ereignis wurde, stellte Johann van Beethoven feinen Sohn der Öffentlichkeit als Musiker vor: in der Kölner Sternengasse, nahe dem einst von P. P. Rubens’ Eltern bewohnten Haufe, trug der Knabe eigene Klavier- und Kammerwerke den Musikfreunden vor, wobei der Vater, wohl angefeuert durch Mozarts Wunderkindleistungen, von dem Alter des Jungen 2 Jahre herunterlog (f. Abb.). Drei Jahre später unternahm feine Frau, auf Anraten einer der holländischen Verwandten der Beethovens (die aus Mecheln und Antwerpen stammten), einen zweiten Versuch, aus dem Talent des Kindes Geld zu machen: sie fuhr mit ihm auf
einem Rheinsrachtschiff nach Holland, kehrte jedoch unverrichteter Dinge heim: Beethoven hat den geizigen „Pfeffersäcken“ diese feine Niederlage nie verziehen. Wenige Jahre nachher bat Fischer die Beethovens, bei denen nun öfters Hauskonzerte unter Mitwirkung des Knaben gegeben wurden, um wenigstens auf diese Weife Einnahmen zu erzielen, ihre Wohnung aufzugeben, da er als Bäcker doch tagsüber Schlafruhe haben müsse. Man zog in die Wenzelgaffe, wo 1786 Maria Magdalena nach der Geburt ihres jüngsten Kindes schwer erkrankte: die Schwindsucht kam jetzt zum offenen Ausbruch. Ludwig, der um jene Zeit sich in Wien befand, wo er soeben Mozart sich als künftigen Schüler vorgestellt hatte, mußte in Eilposten, zu denen er sich das Geld lieh, heimkehren und kam noch rechtzeitig an, um der Mutter die Augen zuzudrücken. Vorüber waren nun für ihn die Zeiten, von denen er damals sagte: „Oh, wer war glücklicher als ich, da ich noch den fußen Namen Mutter aussprechen konnte, und er wurde gehört.“
Als 1792 der Vater ins Grab sank, verließ auch Ludwig die Heimat, um in Wien sich ein neues Leben zu schaffen.
(Als wertvollste einschlägige Veröffentlichung sei des o. Prof. an der Rhein. Friedr. wilhelm-Universität Bonn Dr. Ludwig Schiedermair „D er junge Beethoven“ (Verlag Quelle und Meyer in Leipzig 1925) dringend empfohlen!)