Gustav Nottebohm – Zweite Beethoveniana – I – Sechs Skizzenhefte aus den Jahren 1825 und 1826 (Seite 1)

Nachgelassene Aufsätze von Gustav Nottebohm Leipzig, Verlag von J. Rieter Biedermann 1887

früher im Besitz von Anton Schindler, jetzt in der konigl. Bibliothek zu Berlin befindlich, gewähren einen Einblick 111 die Entstehung einiger der letzten Quartette. Die Hefte haben Kleinquerformat und gehören chronologisch zusammen; eins schliesst sich dem ändern unmittelbar an*). Wir verzeichnen hier die fertig gewordenen Compositionen, die in den Heften der Reihe nach berührt werden.

Im 1. Heft: 3., 4. und o. Satz des Quartetts Op. 130 (in B-dur) und Fuge Op. 133.

Im 2. Heft: 4. und 5. Satz des Quartetts Op. 130; Fuge Op. 133; Kanon »Si non per portas« und Kanon »Freu dich des Lebens« (früherer Entwurf). Der erste Kanon ist gedruckt, der zweite nicht.

Im 3. lieft: 5. Satz des Quartetts Op. 130; Fuge Op. 133; fugirtes Adagio, Allegro in 6/8 Takt (D-dur), Variationen und Finale des Quartetts Op. 131 (in Cis-moll); Kanon Freu dich des Lebens« (späterer Entwurf).

Im 4. Heft: Variationen, Presto (E-dur) und Finale des Quartetts Op. 131.

Im 5. Heft: Variationen, Presto und Finale des Quartetts Op. 131.

Im 6. Heft: fugirtes Adagio, Variationen, Presto, Adagio in ^-Takt (Gis-moll) und Finale des Quartetts Op. 131.

Aus Daten, welche sich an die vorkommenden Kanons knüpfen, und aus Briefen geht hervor, dass das 2. Heft spätestens im September 1825, das 3. spätestens im December 1825 gebraucht wurde und dass alle sechs Hefte der Zeit von frühestens März 1825 bis spätestens Mai 1826 angehören*). Ans der Stellung der Skizzen geht hervor, dass Beethoven gleichzeitig an den letzten vier Sätzen des Quartetts Op. 130 und au der Fuge 0]). 133, ferner gleichzeitig an allen grösseren Sätzen des Quartetts Op. 131 arbeitete und dass letzteres erst begonnen wurde, als das in B-dur in den Skizzen fertig war. Da das Quartett in B-dur zwischen September und November 1825 in Partitur geschrieben wurde, so kann das in Cis-moll in der nämlichen Zeit oder etwas früher begonnen worden sein. Spätestens im September 1826 war letzteres fertig.

Von den Skizzen zum Quartett in B-dur lieben wir zunächst eine zum dritten Satz

und eine zum vierten Satz aus.

Der Satz, dessen Anfang- wir hier in B-dur sehen, war ursprünglich für das Quartett in A-moll bestimmt. In einem Skizzenheft aus etwas früherer Zeit ist er in A-dur concipirt.*) In den vorliegenden Heften erscheint er, bald nach obigem Entwurf, in G-dur.

Die Melodie der Cavatine ist, wie so manche andere, erst nach wiederholten Ansätzen und stückweise entstanden. Wir verzeichnen hier den Anfang- einer der ersten grösseren Skizzen

und hier den einer etwas später geschriebenen Skizze.

In kleinen Skizzen

werden einzelne Stellen der endgültigen Form näher gebracht.

Die Fuge Op. 133, die bekanntlich ursprünglich zum Quartett in B-dtu* gehörte, hat, wie man sich denken kann, viel Arbeit gekostet. Das Thema gehört einer etwas früheren Zeit an. Es hat in seinen ersten vier Noten Aehnlichkeit mit dem in der Einleitung des Quartetts in A-moll auftretenden Durehführungsmotiv und ist gleichzeitig mit dem ersten Satz jenes Quartetts entstanden. Skizzen dazu werden anderwärts vorgelegt’*). In den vorliegenden Skizzenheften ist die Arbeit zunächst auf die Gewinnung von Gegenthemen gerichtet. Beethoven stellt deren viele auf, und eines lautet anders, als das andere. Man sehe hier,

hier,

hier (wo es auf Achtelnoten abgesehen ist)

und hier,

Das jetzige erste Gegenthema erscheint erst nach längerer Arbeit.

Während dieser Arbeit wurden auch Engftthrungen

und andere Künstlichkeiten gesucht und Durchführungen ins Auge gefasst.

Das Fugenthema zu Anfang des Quartetts in Cis-moll hat erst nach einigen Ansätzen feste Gestalt und seine endgiltige Fassung angenommen! Die erste Skizze

beweist, auch wenn Schreibfehler bei einigen Noten darin anzunehmen sind, dass, als sie geschrieben wurde, das Thema noch nicht festgestellt war. Unter den etwas später geschriebenen Skizzen, welche mit der gedruckten Fassung ziemlich oder ganz übereinstimmen, machen sich reale Beantwortungen

des Themas (in der Oberquinte oder Unterquarte von der ersten Note an) bemerkbar. Die Melodie zu Anfang des folgenden Satzes ist in der ersten Skizze

kürzer und anders gefasst, als im Druck.

Das Thema zu den Variationen stimmt in einem der ersten Entwürfe

Das Thema zu den Variationen stimmt in einem der ersten Entwürfe

im Wesentlichen mit der gedruckten Form überein, nur lautet eine Note anders, und dann sind die Motive, aus denen es besteht, zum Theil anders, in eine andere Octave gelegt. Der zweite Theil des Themas entstand später. Der Hauptsatz des Prestos lautet in der ersten grösseren Skizze

einfacher und kürzer, als im Druck. Das im zweiten Theil verkommende Spiel mit den aus den ersten Takten des Themas gewonnenen Motiven entstand erst bei fortgesetzter Arbeit. Auch andere Stellen und Melodien

lauteten ursprünglich anders, als jetzt.

Die Skizzen zum nächstfolgenden Adagio, von denen eine so gismall

anfängt, entkräften die Behauptung von Fétis, die Hauptmelodie sei einem alten französischen Liede entnommen.*) Beethoven würde, nachdem er jene Skizze geschrieben hatte, nicht zwei Noten geändert haben und, wie er es in den Quartetten Op. 59 gethan hat, es gewiss hinzu geschrieben haben, wenn er eine fremde Melodie benutzt hätte. Die Hauptthemen des letzten Satzes des Quartetts in Cis-moll mussten einige Wandlungen durchmaehen, bis sie so wurden, wie wir sie kennen. Der erste Entwurf

zeigt noch gar keine Aehnliehkeit mit der gedruckten Form. In zwei später und unmittelbar nacheinander geschriebenen Skizzen, von denen die erste so,

die andere so lautet,

ist die kleine Periode, mit der der Satz beginnt, gefunden, nicht aber die darauf folgende Melodie. Die beiden Skizzen bringen hier verschiedene Melodien. Beethoven ändert nun die Takt- und Tonart, und da erscheint jene Melodie in ihrer ursprünglichen Fassung.

Beethoven versucht den Anfang auch im § – Takt und kehrt dann zur früheren Taktart zurück. Jene Melodie erhielt, wie eine zum Durchftihrungstheil gehörende Skizze beweist,

ihre endgiltige Form nach und nach und erst im weitern Verlauf der Arbeit.

Nun sind noch andere in den Heften vorkommende Skizzen anzuführen. Zwischen Arbeiten zur Fuge Op. 130 erscheint folgende Stelle.

Wenn man diese Noten nicht alle so genau nimmt, wie sie da stehen, und sich eine kleine Aenderung erlaubt, so gewinnt man einen zweistimmigen Kanon im Einklang. Vielleicht war es auch auf einen solchen abgesehen. Bald darauf erscheint ein früher erwähnter Kanon

und ein Ansatz zu einem grösseren Gesangstück.

Zu Anfang des 3. Heftes finden sich andere liegengebliebene Entwürfe, von denen einige so anfangen:

Sämmtliclie Entwürfe füllen ungefähr acht (kleine) Seiten, und da nehmen die zu der Ouvertüre über den Namen »Bach« den meisten Kaum (etwa 6 Seiten) ein. Bei der ersten Skizze ist von Schindler’s Hand bemerkt: »Scherzo zur lOten Symphonie«. Bei der letzten Skizze stellt; »Andante zur 10. Symphonie (in As)«. Das sind also die Skizzen, welche zur Entstehung der Fabel von der zehnten Symphonie Anlass gegeben haben. Man hat in den Skizzen das cntwiekelungsfähige Embryo einer neuen Symphonie sehen wollen und die Sache so dargestellt, als wenn, falls Beethoven eine zehnte Symphonie geschrieben haben würde, er von jenen Notirungen ausgegangen wäre. Man braucht nicht viel in den Skizzenbüchern Beethoven’s zu blättern, um eine solche Ansicht unhaltbar, wenigstens aller Wahrscheinlichkeit entbehrend zu finden. Wir sehen in jenen Skizzen nur augenblickliche Einfälle, wie sic bei Beethoven zu Tausenden Vorkommen, und die eben so dazu bestimmt waren, liegen zu bleiben, wie die vielen unausgeführt gebliebenen Skizzen, die in ändern Skizzenbüchern zu finden sind. Was Marx (L. v. Beethoven’s Leben und Schaffen, II, 290) sagt, Beethoven habe sich mit einer zehnten Symphonie getragen, ist zu viel gesagt. Das Tragen mit einer Composition ist mit einer anhaltenden Beschäftigung damit verbunden. Davon kann man aber hier nicht sprechen. Jene Skizzen sind nicht fortgesetzt worden. In den folgenden Heften zeigt sich keine Spur mehr davon. Hätte Beethoven so viel Symphonien geschrieben, als er angefangen hat, so besüssen wir ihrer wenigstens fünfzig. Skizzen zu einer Ouvertüre über den Namen »Baeh« sind schon in den Jahren 1823 und 1824 nufgesehneben worden. Hätte Beethoven sie alle ausgeführt, so hätten wir drei verschiedene Baeh-Ouverturen. Dass Beethoven wiederholt auf den Gedanken zuriiekkam, eine solche Ouverture zu schreiben, beweist, dass es damit ernstlicher gemeint war, als mit jener Symphonie.

Bald nach jenen Skizzen schreibt Beethoven:

Schindler bezeichnet (Ilirsclibaelrs »Bepertorium« v. J. 1844, S. 2) das Stück als einen Scherz auf Duport, den damaligen Administrator des Karnthnerthortheaters, und bemerkt: »Mit diesem Marsch wollte sich Beethoven bei diesem Administrator wegen Uebcrlassung des Kärntlinerthortheaters bestens em-pfelilcn, damit er ihm nicht wieder so grossc Schwierigkeiten mache, als das -Jahr vorher, wo die 9. Symphonie und die grosso Messe zur Aufführung gebracht werden sollten.« Uns ist der Scherz nicht verständlich. Noch ist ein früher erwähnter zweistimmiger Kanon im Einklänge anzuführen.

Dieser Kanon (in seiner letzten Fassung) bildet die Scheide zwischen den Skizzen zum Quartett in B-dur (mit der Fuge Op. 133) und zu dem in Cis-moll.

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